Die Geburt eines Kindes ist eines der größten Geschenke im Leben. Für Jaqueline Sinicyn und ihren Mann Evgenij grenzt es an ein Wunder. Im Jahr 2013 wird die gelernte Hotelfachfrau in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt: Ein Auto erfasst die junge Frau, als sie mit dem Motoroller von der Arbeit nach Hause fährt. 28 Tage liegt sie im Koma.
(Veröffentlicht: Februar 2016)
Die Milz ist gerissen und muss entfernt werden. Durch den hohen Blutverlust kommt es zu einem Schock, ihre schwer geprellten Nieren versagen schließlich. Außerdem erleidet Sinicyn zahlreiche Knochenbrüche und eine Hirnblutung. Rund ein dutzend Mal wird sie im HELIOS Klinikum Hildesheim operiert. Insgesamt bleibt sie ein halbes Jahr im Krankenhaus. Während die Knochenbrüche wieder geheilt sind, ersetzt die Dialyse seit dem Unfall die Aufgabe der Nieren. Drei Mal die Woche muss Jaqueline Sinicyn für je vier Stunden an das Dialysegerät, um Giftstoffe aus ihrem Blut filtern zu lassen.
Die regelmäßige Blutwäsche ist nicht nur kräftezehrend, sondern beeinflusst durch hormonelle Veränderungen den Eisprung nachhaltig. Aus diesem Grund ist es für Patientinnen mit chronischer Nierenschwäche fast unmöglich, schwanger zu werden. „Nur etwa ein Prozent der Patientinnen im gebärfähigen Alter wird überhaupt schwanger", erklärt Prof. Dr. Burkhard Kreft, Chefarzt der Klinik für Nephrologie und Dialyseverfahren am HELIOS Klinikum Hildesheim. „Selbst wenn es gelingt, schwanger zu werden, verlieren etwa zwei Drittel der Dialysepatientinnen ihr Kind. Dass Frau Sinicyn sogar auf natürlichem Wege schwanger wurde, ist sehr ungewöhnlich. Umso mehr freuen wir uns über das niedliche gesunde Mädchen“, so Prof. Kreft.
Dass es für Dialysepatientinnen eine große Herausforderung ist, ein Kind zu bekommen, bestätigt auch Prof. Bernard Canaud, Chief Medical Officer von Fresenius Medical Care, dem weltweit führenden Anbieter von Produkten und Dienstleistungen für Menschen mit Nierenerkrankungen: „Weltweit sind uns nur wenige hundert Fälle bekannt, in denen Dialysepatientinnen ein gesundes Kind zur Welt gebracht haben. Zu den medizinischen Herausforderungen zählen unter anderem ein erhöhtes Risiko auf eine Frühgeburt und niedriges Geburtsgewicht."
Für Jaqueline Sinicyn war der Weg bis zur Geburt schwer. Da Schwangerschaften bei Dialysepatientinnen so selten sind, gibt es kaum Fachliteratur, aus der die Ärzte Erfahrungen von Kollegen ziehen konnten. Ist die Blutwäsche bereits für einen Dialysepatienten anstrengend, so ist sie für das ungeborene Kind noch belastender. Um Komplikationen zu vermeiden, musste der Rhythmus der Dialysebehandlungen zeitweise verdoppelt werden. Damit die hohen Harnstoffwerte der Mutter das Baby nicht gefährden, musste Jaqueline Sinicyn wöchentlich bis zu sechs Mal für vier Stunden zur Dialyse.
Schließlich war es soweit: Per Kaiserschnitt wurde die kleine Angelique in der Frauenklinik des HELIOS Klinikums Hildesheim geboren. 41 Zentimeter und 1230 Gramm pures Glück. Das kleine Mädchen erblickte zwei Monate zu früh das Licht der Welt und wurde zunächst auf der Frühchenstation des Krankenhauses versorgt. Im Brutkasten wurde sie über eine Magensonde ernährt und ihre Atmung unterstützt.
„Wir haben unsere Tochter jeden Tag besucht und waren so oft es ging bei ihr“, erzählt der stolze Vater Evgenij Sinicyn. Und die tapfere kleine Angelique entwickelte sich gut: Bereits zwei Monate nach der Geburt hatte sie ihr Gewicht verdoppelt und konnte mit dem Fläschchen ernährt werden, sodass die junge Familie nach Hause konnte. „Wir sind sehr glücklich und dankbar, dass es der Kleinen so gut geht. Sie wächst gut und ist ganz normal entwickelt. Sie ist sogar absolut pflegeleicht und schreit fast nie“, schwärmt Jaqueline Sinicyn. „Jetzt sind wir froh, eine ganz normale Familie zu sein und genießen die Zeit zusammen.
Fotos: © HELIOS Klinikum Hildesheim und Kai Kapitän